: Schwyzer Namenbuch. Die Orts- und Flurnamen des Kantons Schwyz. Schwyz 2012 : Druckerei Triner, ISBN - 3599 S. 6 Bände

: Vom Dräckloch i Himel. Namenbuch des Kantons Schwyz. Schwyz 2012 : Druckerei Triner, ISBN 978-3-908572-55-8 752 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Jürgen Mischke

Das Namenbuch des Kantons Schwyz umfasst ein fünfbändiges Lexikon und einen Einleitungsband mit Register.1 Zusätzlich ist zum gesamthaft rund 3600 Seiten starken, wissenschaftlichen Namenlexikon eine vielbeachtete, erfolgreiche und kompakte Volksausgabe publiziert worden, die vereinfachte Besprechung der Orts- und Flurnamen aus dem Grundlagenwerk enthält. Dieser Ausgabe liegt ausserdem ein USB-Stick mit georeferenzierten Namendaten und einem vollständiges PDF des mehrbändigen wissenschaftlichen Lexikons bei.

Nach dem Urner (1988–1991) und Nidwaldner (2003) Namenbuch legt Viktor Weibel damit sein drittes kantonales Namenlexikon vor.2 Seine Beschäftigung mit den Orts- und Flurnamen im Kanton Schwyz begann aber bereits zu Studienzeiten 1965 und mündete 1973 in eine Dissertation, die als direkte wissenschaftliche Vorarbeit für ein kantonales Namenlexikon gedacht war. Doch erst 2001 konnte ein entsprechendes Projekt finanziert und in Angriff genommen werden, indem Viktor Weibel und sein Historikerkollege Albert Hug für das Kantonsgebiet innert sieben Jahren fast 18 000 unterschiedliche Örtlichkeitsnamen, mit ca. 70 000 mündlichen und schriftlichen Belegen sammelten. Diese wurden in einer Datenbank aus über 224 Befragungen von lokalen Gewährspersonen und aus der Sichtung und Transkription von 4550 historischen Archivquellen zusammengetragen. Auch wenn schon einige Vorarbeiten existiert haben, sind dies beeindruckende Zahlen für die Sammlung und Sicherung einer kantonalen Namenlandschaft, die den Fleiss der Bearbeiter dokumentieren. Bis zum Jahre 2012 wurde anschliessend das Datenmaterial sprachwissenschaftlich ausgewertet und lexikographisch bearbeitet.

Das entstandene wissenschaftliche Nachschlagewerk organisiert sich alphabetisch nach den Grundwörtern der mehrheitlich komponierten Örtlichkeitsnamen und folgt einer strengen, aber eigenen Systematik, die auf drei Seiten erklärt werden muss (Bd. 6 S. 23–25). Unerfahrene Lexikonleser benötigen dafür etwas Eingewöhnung oder können sich mit dem Umweg über das Register behelfen. Bei Artikeln noch heute gebräuchlicher Toponyme werden neben der normalisierten Namenangabe zusätzlich die dialektalen Aussprachen des Namens phonetisch angegeben. Ein Kreuz kennzeichnet anderenfalls, dass der Name nicht mehr gebräuchlich, sondern historisch ist. Über die Angabe der Gemeinde, der Koordinaten und eine Lagebeschreibung werden die jeweiligen Orts- und Flurnamen lokalisiert. Darunter aufgelistet finden sich von der ältesten zur jüngsten Form aufsteigend historische Namenbelege, worüber die unterschiedlichen Schreibungen und die sprachliche Entwicklung des Namens nachvollzogen werden kann. Quellenverweise ermöglichen den Zugang zu den Primärquellen. Bei nicht selbsterklärenden Namen schliessen die Namenartikel im Sinne klassischer Namenkunde mit einer sprachwissenschaftlich-etymologischen Rekonstruktion der Wortbedeutungen, die stellenweise bis ins Indogermanische zurückgeführt wird. Oft, aber nicht grundlegend stützen sich diese Namendeutungen auf regionalonymische oder -historische Kontexte.

Die Menge der gesammelten Namenbelege unterscheidet sich von Artikel zu Artikel stark und variiert von der Anführung eines singulären Einzelbelegs bis zur Auflistung einer Reihe von 15 historischen Belegen. Ihre Aussagekraft ist deshalb manchmal schwer einzuschätzen. Die Quantität der Datengrundlage des Lexikons als Ganzes ist zwar eindrücklich, deren Entstehungsbedingungen bleiben aber etwas diffus. Die vollständige Aufnahme aller historischen Namenbelege aus allen Archivquellen des Kantons ist ein theoretisches Ziel, keine erreichbare Tatsache. Es bleibt ungeklärt, in welchen Archiven welche Quellen aus welchen Gründen berücksichtigt oder weggelassen wurden. Zu dieser aus quellenkritischer Sicht wichtigen Frage ist im Einleitungstext nur die Rede von «diversen Quellen», «umfangreichem Belegkorpus», «Riesenmenge an Quellenmaterial» oder der Berücksichtigung «topographischer Reiseliteratur» (Bd. 6, S. 18).

Nur gerade 30 von 3600 Seiten geben über Aufbau, Zweck und Konzeption des detaillierten, sorgfältigen und qualitativ zweifelsfrei hochstehenden Lexikons Auskunft. Das ist wenig Raum, um solche nicht selbstverständlichen Forschungsanstrengungen zu erklären. Dazu äussert man sich lediglich im Geleitwort und im Editorial. Namen seien allgegenwärtig, helfen bei der Orientierung und seien Teil der Kultur, in der sie Identität stiften würden (Bd. 6, S. 9ff). Das vorliegende Lexikon würde dabei helfen, ein «Urbedürfnis» zu befriedigen und etwas besser zu verstehen, was man täglich benutzen würde, dessen Herkunft aber unbekannt ist. Diesen Zweck kann das Lexikon tatsächlich erfüllen. Interessierte Kartenleser, Wanderer oder Heimatforscher können über das Lexikon einen sprachhistorischen Zugang zu durch semantische Isolation unverständlich gewordenen sprachlichen Zeichen im topographischen Raum erlangen. Vollständige Klärung eines Namens vermag das Lexikon freilich nicht in jedem Fall zu leisten, und die Qualität der Artikel schwankt auf hohem Niveau. Jedenfalls fördert das Lexikon aber das Bewusstsein für die historische Tiefe der aktuellen Namenlandschaft, ohne einem historistischen Ursprungsmythos zu erliegen. Für andere Ortsnamenforschungsprojekte ist das Werk zudem eine weitere wichtige Vergleichsquelle für Toponyme im eigenen Untersuchungsgebiet.

Fraglich ist allerdings der Nutzen für andere Forschungsrichtungen, obwohl er im Geleitwort angepriesen wird. Zwar sind Verwendungen seitens der Archäologie, Geschichtswissenschaften, Geologie und Mineralogie für gewisse Fragestellungen denkbar, die Namenforschung wird in den jeweiligen Disziplinen aber kaum wahrgenommen, und der unmittelbare Nutzen des Nachschlagewerkes für diese Forschungsdisziplinen erschliesst sich nicht selbstverständlich. Für den Historiker stellt das Lexikon immerhin eine grosse Hilfe bei der Lokalisierung von Örtlichkeiten dar, die in historischen Quellen gefunden, aber keinen aktuellen Orten mehr zugeschrieben werden können. Ein wirklicher Mehrwert für andere Forschungsdisziplinen läge wahrscheinlich in thematischen (historisch, geologischusw.) Auswertungen des bearbeiteten Namenbestandes als Ganzes, die aber vonseiten der Namenspezialisten erfolgen müsste.

Besonders bemerkenswert am Schwyzer Namenbuch ist die zukunftsweisende Volksausgabe. Sie enthält ein Lexikon, das nochmals alle Orts- und Flurnamen des Kantons streng alphabetisch und nicht nach dem Grundwortprinzip aufführt. Die Informationen zu den Namen führt es in Kurzform auf. Nur der älteste Namenbeleg wird erwähnt, und man beschränkt sich auf eine knappe Deutung des Namens ohne sprachwissenschaftliche Besprechung.

Diesem Lexikon ist eine fast 50-seitige Einführung vorangestellt, die nicht nur erklärt, wie das Namenbuch zustande gekommen ist, sondern auch einen typologischen und thematischen Streifzug durch die Namenlandschaft im Kanton Schwyz unternimmt: Wie ist der Name Schwyz zum Landesnamen geworden? Welche verschiedenen Siedlungsnamentypen existieren im Kanton, und was sagen diese über die Besiedlungsgeschichte aus? Wie alt sind die Bergnamen?

Grosse Beachtung hat der im Deckel verborgene USB-Stick in Schlüsselform erfahren. Darauf sind die Orts- und Flurnamen des Lexikons auf Karten (on- und offline) lokalisiert. Zudem finden sich auf dem Datenträger alle Bände des wissenschaftlichen Namenlexikons als PDF. Ein interessantes Publikationskonzept, das in anderen laufenden Namenforschungsprojekten im deutschsprachigen Raum sicher zu reden geben wird.

1 Dieser Rezensionstext stellt eine Überarbeitung einer bereits veröffentlichten Rezension des Verfassers dar; in: Traverse 3 (2013), S. 167.
2 Albert Hug, Vikor Weibel, Urner Namenbuch, 4 Bde., Altdorf 1988–1991; Albert Hug, Viktor Weibel, Nidwaldner Orts- und Flurnamen, 5 Bde., Stans 2003.

Zitierweise:
Jürgen Mischke: Rezension zu: Viktor Weibel, Schwyzer Namenbuch. Die Orts- und Flurnamen des Kantons Schwyz, 6 Bde., Schwyz: Druckerei Triner AG, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 2, 2014, S. 355-358.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 2, 2014, S. 355-358.

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